Im Gebiet der Starzel und Eyach kommt der Neckartrauf der Schwäbischen Alb noch einmal zu vollem Glanz auf. Wie sich auf der ganzen Linie Vorberge und Felsentäler als die hauptsächlichen Erzeuger landschaftlicher Schönheit erwiesen haben, so ist's auch in diesen beiden nachbarlichen Gebirgsteilen. In dem einen - dem Starzelgebiet - ist's ein Vorberg, nur einer, aber der herrlichste von allen, in dem andern - dem Eyachgebiet - ein Felsental, aber das wildeste, hochgebirgsmäßigste.
Das Starzelgebiet oder die Zolleralb vom Dreifürstenstein bis zum Hundsrück ist durch den Hohenzollern alles. Denkt man sich den Hauptpunkt weg, so würde die Zolleralb mit ihren spärlichen Felsen und ihrer wenig entwickelten Gliederung die Steinlachalb nicht übertreffen, ja ihr nachstehen. Dieser einzige Berg aber erhebt das ganze Gebiet unter die Landschaften vorderster Reihe. Ist schon von Natur der hoch und freiragende, der Achalm ähnliche Kegel nicht nur einer der höchsten (855 m), sondern auch einer der schönsten Vorberge der Alb, so hat er durch die Kaiserveste, diese stolzeste aller deutschen Burgen, einen so glücklichen, den natürlichen Umrissen so trefflich angepassten Kopfschmuck erhalten, dass dieses aus Natur und Kunst gefügte Gesamtgebilde bei aller Großartigkeit einen anmutigen, fast zierlichen Eindruck macht und das prächtigste Zierstück der Schwäbischen Alb genannt werden darf.
So schön der Hohenzoller zum Ansehen ist, so wenig befriedigt die Aussicht von seinem Gipfel. Dieses Urteil ist nicht neu, sondern man kann es täglich von den Besuchern der Burg aussprechen hören, und auch in den Reisehandbüchern ist's zu lesen. Für uns hat diese Tatsache nichts Auffallendes. Gerade in einer Gegend, die ihren landschaftlichen Glanz so ausschließlich von einem Punkt aus erhält, muss sich ja unsere schon oft erkannte Regel am sichersten bewähren, dass der Glanzpunkt selbst gerade als Aussichtsstandpunkt am ungeeignetsten ist. So wird auch unwillkürlich jeder, der ein Gemälde oder eine Photographie von der Gegend aufnehmen will, sich jeden anderen Standpunkt eher wählen als den Zollergipfel selbst.
Es ist nicht schwer, befriedigende, ja entzückende Standpunkte zur Betrachtung der Schönheiten des Zollergaus zu finden. Der Berg steht so frei gleichsam auf dem Vorlegteller da, dass schon im Vorland sich zahllose Standpunkte zu seiner Besichtigung darbieten; gibt ja schon die Eisenbahnfahrt zwischen Tübingen und Balingen ausgiebige Gelegenheit zur Betrachtung der Burg von drei verschiedenen Seiten. Aber doch möchte ich dringend raten, sich nicht mit der Ansicht vom Tal aus zu begnügen. Denn wiederum bewährt sich hier ein schon oft erkannter Satz. Nur dem offenbart sich der Berg in seinem vollen Schönheitszauber, der emporsteigt zu den dahinter liegenden Gebirgsrändern, wo er die Berggestalt in unverkürzter Höhe vor sich schaut, von den zarten Tönen des Flachlands umspielt. Erst wer einmal von einer solchen Nachbarhöhe den Kaiserberg erschaut hat, lernt ihn recht schätzen und lieben. Von unten mag er vielleicht manchem den Eindruck eines protzigen Fremdlings machen, der mit Aufdringlichkeit die bescheidene Landschaft ringsum in den Schatten zu stellen sucht. Hier oben aber lernen wir verstehen, wie innig auch dieser Berg mit unserer Schwabenalb verwachsen ist, wie verständig er sich ins ganze Gebirgsbild einfügt in freundnachbarlicher Wechselwirkung und Ergänzung.
Wohin sollen wir also steigen, um den richtigen Standpunkt zu finden? Die Frage ist nicht mit einem Wort zu beantworten. Es gibt eine ganze Menge von Punkten am Albrand, die des freien Blicks auf den nahen Kaiserberg teilhaftig sind. Für sich allein betrachtet ist jeder dieser Punkte eine Sehenswürdigkeit ersten Rangs. Aber ihre Ähnlichkeit nötigt zu einer Auswahl. - Drei Punkte kommen vor allem in die engere Wahl, die nach Ortslage und Aussichtsart am meisten Gegensätzlichkeit zeigen: der Dreifürstenstein an der Nordostgrenze, der Hundsrück an der Südwestgrenze und das Zellerhorn in der Mitte.
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Blick vom Zellerhorn zum Hohenzollern
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Das Zellerhorn (911 m), ein wonniges Luginsland, das auch des Felsenschmucks nicht entbehrt, hat als nächster Nachbarberg des Zollern schon den äußeren Vorzug, dass sein Besuch am bequemsten mit demjenigen der Burg selbst verbunden werden kann. Aber auch sein innerer Wert bestimmt sich nach dieser Lage. So recht für sich allein aus unmittelbarster Nähe kann man hier den Herrscher betrachten. Im Freilicht steht er da, abgesondert von dem ehrerbietig zurücktretenden Volk der Berge. Dabei erlaubt er hier von der Rückseite her den besten Einblick in den stufenartigen Aufbau und die innere Gliederung des Bauwesens, das hier nicht wie von vorn als pomphaft aufgesetztes Prunkstück, sondern als eine dem Felsengrund gediegen angepasste und natürlich entwachsene Bergfeste erscheint.
Dreifürstenstein (855 m) und Hundsrück (931 m) zeigen dagegen den Zollerberg in der Seitenstellung, wobei sein Verhältnis zum Albfestland besser zur Geltung kommt. Durch einen schön geschwungenen Waldsattel mit diesem verbunden scheint er als gekrönter Feldherr, das Schwert hoch vorstreckend, der Heeresmasse voranzuschreiten, als deren Vordermann das Zellerhorn ihm mit strammem Schritte nachrückt. Dabei zeichnet sich der Dreifürstenstein durch sein geschlossen gruppiertes Gesamtbild, der Hundsrück durch seine Doppelschau aus: dort das belebte Starzeltal mit der Stadt Hechingen im Vordergrund, die kraftvoll geformten Lochenberge als Hintergrund prächtig zusammenwirkend; hier nach zwei Seiten eine Prachtgruppe: nordwärts die Zollerlandschaft, südwärts die schon nahegerückte Felsenbergwelt um die Pforte des Lautlinger Tals.
Bei der Frage, welcher dieser drei ebenbürtigen Punkte vorzuziehen sei, mögen Reiserichtung und andere Zweckmäßigkeiten zu Rat gezogen werden. Aber auch eine landschaftliche Erwägung darf nicht außer Acht bleiben: das ist die vorzügliche Tauglichkeit der Zolleralb zu genussreichen Randwanderungen. Kein Besucher der Gegend möge sich die Gelegenheit entgehen lassen, den Hohenzollern sich ein Stück weit als Reisebegleiter anzuwerben und in gleichem Schritt mit ihm an den lustigen Felsenkanten des Gebirgswalls hin zu marschieren, nicht die ganze Linie entlang - das würde abstumpfend wirken -, aber wenigstens auf einer der vier natürlichen Teilstrecken.
Da ist als erste Randstrecke der Nordostsaum des Killertals vom Dreifürstenstein bis zum Talschluss, zugleich Westkante des geographisch noch zur Steinlachalb gehörigen Heufelds. Sie würde eine der ebensten und bequemsten Randwanderungen der Alb abgeben, wenigstens auf der Strecke von vorn bis zu der tief eingeschnittenen Seeheimer Talschlucht, und auch landschaftlich würde sie durch die allmählichen Verschiebungen des hübschen Starzeltals und des Zollerkegels selbst in hohem Grade lohnen. Aber solange ein gepflegter Saumpfad fehlt, wird sie den anderen Strecken nachzustellen sein.
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Blick vom Raichbergturm übers Nägelehaus auf Onstmettingen und die Burg (975 m, links)
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Die zweite Randstrecke auf der entgegengesetzten Seite des Killer-(Starzel-)Tals beginnt mit dem Himberg bei Jungingen (852 m) und führt am Nordrand der Onstmettinger Platte, des Mittel- und Hauptstücks der Zolleralb, zum Zellerhorn hinaus, wobei sie auch den höchsten Punkt der Gegend, den Raichberg (955 m), berührt. Sie teilt mit der dritten Strecke den wichtigen Vorzug, dass sie auf den Hohenzollern selbst lossteuert und zum Besuch der Kaiserburg am Schluss der Wanderung einlädt.- Dass sie das Schaustück nicht übersättigend oft zeigt, sondern nur am Anfang am Himbergrand - wo die Burg in duftiger Schlankheit durchs Waldgebüsch schimmert - und am Schluss beim Zellerhorn - wo sie in majestätischer Grösse aus dem Abgrund taucht - , mag auch als Vorzug gelten; denn auf der Zwischenstrecke sorgen die Merkwürdigkeiten des "Hangenden Steins" für Unterhaltung.
Die dritte Strecke, die wie die zweite als Albvereinshauptlinie hübsch gangbar gemacht ist, befriedigt am meisten das Bedürfnis nach prächtigen Nahbildern des Kaiserbergs und hat den weiteren Vorzug, dass sie gar keinen nennenswerten Anstieg erfordert. Denn sie beginnt auf der Bahnstation Onstmettingen, die selbst schon 800 m hoch (also um 100 m höher als der Gipfel des Rechbergs und der Achalm) liegt, und führt an dem 900 m hohen Westrand der Onstmettinger Platte hin gleichfalls zum Zellerhorn, und zwar vom Stichpass an (826 m) stets dicht am Abgrund hin, teilweise in hochgebirgsmäßiger Verwegenheit, die Schwindelfreiheit erfordert. Ein überwältigender Eindruck ist's, wenn man aus dem öden Hochtal beim Stichwirtshaus zum Bergrand emporsteigend plötzlich aus unsichtbarer Tiefe hinter der jenseitigen Gebirgskante die turmreiche Feste auftauchen sieht, einer Gralsburg gleich, scheinbar in übernatürlicher Größe. Erst wenn auch der Sockel des Bauwerks mit aufgetaucht ist, erscheint es dem Auge in natürlichen Verhältnissen und zeigt sich auf dem hübschen Blasenberg ob dem Schmiecha-Ursprung erstmals in ganzer Pracht. Von den zahlreichen Ausblicken auf dem Weiterweg bis zum Zellerhorn wollen wir nur noch den gastlichen Zollersteighof (901 m) oder vielmehr eine 5 Minuten nördlich von demselben in der Richtung gegen den "Schöllerrandelbühl" gelegene Anhöhe hervorheben, wo einerseits das Bild der Kaiserburg von Waldwänden einer Schlucht wirksam umrahmt erscheint, andererseits die sehr ansehnlichen Binnenkuppen Burg und Braunhardsberg bei Tailfingen mehr als sonst den Blick nach dem Innern der Albhochfläche ablocken. Auch wer die zweite Strecke gewählt hat, wird den kurzen Abstecher vom Raichberg zum Zollersteighof schon des freundlichen Höhenwirtshauses wegen nicht bereuen.
Die vierte Strecke beginnt gleichfalls in Onstmettingen und führt am Nordrand des südlichen Flügels der Zolleralb, den man die Pfeffinger Platte nennen kann, über den Irrenberg (920 m, gleichfalls mit Zolleransicht) hinaus zum schon erwähnten Hundsrücken, dem letzten, höchsten und vorgeschobensten Randberg der Zolleralb, der sich schon von Tübingen aus gesehen so auffallend neben den Zollern stellt. In ihrem gegenwärtigen Zustand ist diese Strecke weniger zu empfehlen.
Wenn aber einmal richtige Randwege angelegt sind und die Aussicht des Hundsrückens besser freigelegt ist, so wird dieser Berg mit seiner beherrschenden Zwischenstellung zwischen der Zoller- und der Eyachlandschaft vielleicht der großartigste und lohnendste Aussichtspunkt beider Gebiete und der Weg von Onstmettingen über Hundsrück und Hirschberg nach Balingen eine der lohnendsten Wanderungen der Alb werden, namentlich für solche, die auf einem Gang gleichzeitig die Zolleralb und das Eyachgebiet kennen lernen wollen. -